Shakti 1998
Öl, Acryl, Tusche und Blattgold auf Holz, 70 x 79 cm.
Dieses Gemälde präsentiert gleichzeitig zwei Bilder auf unterschiedlichen Ebenen. Eine Ebene formiert sich als Flachrelief, die andere ist gemalt. Obwohl die Bilder unterschiedliche Elemente darstellen, sind sie als parallele Metaphern zu verstehen. Sie verweisen dabei auf Gedanken, die an den Rändern des Gemäldes in Schrift erscheinen, sowohl auf Griechisch wie auch auf Sanskrit.
Die Quellen sowohl des Relief-Bildes als auch des gemalten Bildes verweisen auf das Werk Gustave Courbets. Ich verarbeite ganz direkt zwei von Courbets Gemälden. Das bas-relief bezieht sich auf ein wohlbekanntes Werk Courbets, L’Origine du Monde. Der Bezugspunkt des gemalten Bildes sind zwei Gemälde mit dem Titel, La Source de la Loue. Die Quelle des Flusses Loue war der Ort, an dem Courbet mehrere Arbeiten um 1864 malte.
L’Origine du Monde befindet sich jetzt in ständiger Leihgabe am Musée d’Orsay. Über Jahre hinweg schien es verschwunden zu sein, aber die Witwe des französischen Psychoanalytikers Jacques Lacan stellte es dem Museum zur Verfügung. Obwohl das Gemälde heutzutage nicht einen solchen Schockwert besitzt, den es vor einem Jahrhundert gehabt haben mag, ist es seit seiner Erschaffung doch vorwiegend als eindeutig pornographisch betrachtet worden. Die Kunsthistorikerin Linda Nochlin, die von einem feministischen und freudianischen Blickwinkel aus schreibt, hat L’Origine du Monde ausführlich interpretiert. Sie wird also eine Koryphäe in der Courbet-Forschung angesehen, und ausser einer kritisch-pathologischen Analyse des Gemäldes findet sie kaum etwas, was an diesem Werk zu retten wäre, abgesehen von der meisterhaften technischen Anfertigung.
Während ich nicht daran interessiert bin, Professor Nochlins Urteil über die historische Betrachtungsweise des Gemäldes anzufechten, will ich mit meiner Arbeit allerdings die Frage aufwerfen: “Warum hat das Gemälde den Titel Der Ursprung der Welt? Warum nannte Courbet es nicht Jacquelines Scham, oder etwas ähnliches? Es ist bekannt, dass Courbet ein ausgezeichneter Provokateur war. Trotzdem gehe ich davon aus, dass Monsieur Courbet nach etwas suchte, was man nicht vollständig verstehen kann, wenn man das Gemälde lediglich als eine Männerfantasie verurteilt. Es handelt sich bei Courbet vielmehr darum, die Idee der Lust mit der des Ursprungs, der Erschaffung selbst, gleichzusetzen, nicht im Sinne einer gedankenlosen Fleischeslust, sondern, in deiner universelleren Weise, eben das implizierend, was Duchamp, der wiederum Courbets Werk sehr gut kannte, Zeit seines Lebens bearbeitete….”Eros c’est la vie.” (Eros ist das Leben). Das ganze Universum ist von Lust getrieben. Wenn man sich bestimmte buddhistische Gemälde genauer anschaut, zum Beispiel verschiedene Darstellungen des Kalachakra (Rad der Zeit), sieht man im Zentrum des Rads drei Tiere in einem Kreis: einen Hahn, ein Schwein, und eine Schlange. Sie repräsentieren jeweils: Lust, Begierde, und Zorn. Für den Buddhisten bedeuten sie die psychischen Kräfte, die das Rad in der Umdrehung behalten. Ohne dass damit in irgendeiner Weise angedeutet werden soll, dass Courbet ein Buddhist war, möchte ich hier behaupten, dass er sich der Macht des Eros auf seine eigene Weise bewusst war, nicht nur in seiner eigenen persönlichen Erfahrung, sondern in einem umfassenderen, universellen Sinne.
In der Antike war Eros eine Gottheit, eine Kraft, mit der zu rechnen war und die verehrt wurde. Historisch gesehen, allerdings, wird Courbets Darstellung des weiblichen Körpers in seinem Gemälde von Freund oder Feind als eine Art Beleidigung oder Kränkung der Frauen betrachtet werden. Die Figur hat weder Beine noch Arme, sie hat kein Gesicht. Sie kann daher als eine Methode angesehen werden, die aus einem menschlichen Wesen, einer Frau, ein Objekt macht.
Andererseits, was ware, wenn Courbet das Figürliche unpersönlich darstellen wollte, um es universell zu gestalten? Indem er das Gesicht, und damit die vorrangige Bezugnahme zum Persönlichen, wegliess, platzierte er die Figur in den Bereich des Unpersönlichen, des Universellen.
Obwohl ich die Intentionen Courbet bezüglich seines Gemäldes nicht wissen kann, kann ich behaupten, dass ich meine eigenen Intentionen kenne. Ich entschloss mich, die Darstellung der weiblichen Genitalien mit der Darstellung der höhlenartigen Quelle eines Flusses zu kombinieren, da die metaphorischen Parallelen zu mächtig schienen, um sie zu ignorieren. Ausserdem existieren zu viele Präzedenzfälle in der bildenden Kunst von der paläolithischen Zeit bis zur Gegenwart, wenn man nur einmal genauer hinschaut.
Es ist schon früher in Courbets Werken bemerkt worden, dass man, im Sinne einer freudianischen Lesart, die Darstellung der weiblichen Genitalien mit den Gemälden der Höhlen in Analogie setzen kann. Ich bin allerdings der Meinung, dass diese Analogie kein Problem der pathologischen Sichtweise ist, sondern dass sie ein weiteres Beispiel einer altertümlichen Idee ist, die Erde selbst als weiblich aufzufassen. Wir kommen nicht nur aus der Erde, sondern kehren zu ihr zurück nach unserem Tod. Wiederum will ich hier nicht behaupten, dass Courbet eine bewusste Gleichsetzung zwischen diesen Darstellungen machte. Vielmehr nehme ich bewusst Bezug auf zwei von Courbets Werken, um durch eine Synthese ein neues Werk zu schaffen. Zudem wird versucht, damit eine Art tantrische Transformation zu kreieren, eine Umwandlung von etwas, das vorher als profan bezeichnet worden ist, in etwas, das heilig ist.
Wenn man nun kurz einige thematische Überlieferungen betrachtet, stellt sich die Frage: “ Was machten die prähistorischen Menschen in den Höhlen, in denen später oft Höhlenzeichnungen gefunden wurden?” Von der Forschung ist vorgeschlagen worden, dass im Verlauf eines Initiationsrituals in das Erwachsensein, junge Menschen (männlichen Geschlechts, obwohl das nicht genau bekannt ist) wohl tief in die totale Dunkelheit der Höhlen geführt wurden, und sie dann alleine wieder den Weg herausfinden mussten. Dies war eine Methode, die heranwachsenden Menschen sich mit ihrer eigenen Furcht auseinandersetzen zu lassen, aber auch gleichzeitig eine wortwörtliche “Wiedergeburt” ihres Lebens aus dem Schoss der Erde erfahren zu lassen.
Es gibt zahllose Beispiele von Stein yoni Skulpturen, die überall von Europa bis Zentral- und Südasien gefunden wurden. Diese wurden oft von modernen europäischen Interpreten als Obszönitäten verstanden, aber wie es auch bei Freuds Theorien der Fall ist, das Pathologische liegt nicht bei dem Objekt, sondern im Bewertungssystem des Subjekts.
Schliesslich lässt sich anmerken, dass ich zur graphischen und konzeptionellen Fokussierung der Arbeit den Entschluss fasste, den Rahmen des Bildes mit Text zu versehen. Der griechische Text basiert auf Plotinus. Einige seiner Ideen erscheinen ausgesprochedn poetisch und bemerkenswert. Er hatte ein intuitives, mystisches Verständnis der Natur der Dinge, und ich sehe eine starke Affinität zwischen der Gedankenwelt des Griechen und Überlieferungen, die aus Indien stammen. Die beiden letzten Sätze des Gemäldes, auf Sanskrit, stammen von den Upanishads. Ich setze nicht notwendigerweise voraus, dass der Betrachter diese Sprachen lesen und verstehen muss, um mein Gemälde anzuschauen. Ein Grund dafür, diese Gedanken in ihrer ursprünglichen Sprache aufzuschreiben, liegt vielmehr darin, dass wir nicht nur diese alten Sprachen vergessen haben, sondern dass wir auch die Ideen, die in diesen Sprachen einmal ausgedrückt wurden, nicht mehr verstehen.
***
Quellen und Textangaben
Gustave Courbet: L'Origine du Monde
***
Gustave Courbet: La Source de la Loue
***
***
Übersetzungen der griechischen und Sanskrit Texte
Man stelle sich eine Quelle vor, die keinen anderen Ursprung hat, sondern sich in ihrer Ganzheit an Flüsse ergiesst, und sie wird von den Flüssen nicht aufgebraucht, sondern bleibt in sich selbst ruhend. Die Flüsse jedoch, die sich aus ihr speisen, und bevor sie jeweils in eine andere Richtung fliessen, bleiben alle noch eine Weile zusammen, obwohl ein jeder Fluss bereits irgendwie die Richtung zu wissen scheint, in welche er seine Strömung fliessen lassen wird.
Plotinus, Ennead III.8. Über Natur und Besinnung.
Aditi, Göttin der Energie,
Aus dem Göttlichen geboren durch Vitalität,
Mutter aller kosmischen Kräfte,
Sie wirkt im Herzen jeder Kreatur,
Sie ist fürwahr das Selbst.
Denn dieses Selbst überragt alles.
Katha Upanishad II.1.7
Om. Dieses ist Fülle, jenes ist Fülle, von
dieser Fülle entsteht jene Fülle.
Diese Fülle von jener Fülle wegnehmend,
bleibt als Fülle doch zurück.
Om. Friede, Friede, Friede.
Isa Upanishad, einleitender Gesang.
Copyright 2005 Andy Feehan
Alle Rechte vorbehalten
Übersetzung von Johannes Birringer